Philosophie

Ich will einfacher leben. Aber wie mache ich das?

Befindet man sich auf einer Weltreise, die mehrere tausend Euro verschlingt, kann man gut vom einfachen Leben reden. Menschen aus nächster Umgebung würden auch bestätigen, wie gerne ich Dinge besitze und wie leidlich ich werde, wenn ich das Objekt meiner Begierde nicht sofort haben kann. Am schlimmsten ist das Gefühl beim Internet-Shopping – hier wird suggeriert, dass man alles zum kleinsten Preis(Sternchen) inkl. Lieferung bekommen kann.
Werbung – sei es ein Spot, Plakat oder simple Mundpropaganda – sorgt an weiteren Stellen dafür, dass der Ideenfluss bezüglich dessen, (nicht wie sondern) wodurch das Leben noch mehr bereichert werden könnte. Wenn ich an unsere nächste Wohnung denke …

Die Frage, die sich mir nach ersten Überlegungen stellt ist, was es im 21. Jahrhundert bedeutet, einfach zu leben. Lebe ich isoliert wie ein Mönch, eine Nonne im Kloster, jäte dort das Unkraut im Gemüsebeet und nenne nichts meinen Besitz als das Neue Testament? Oder bleibe ich sesshaft bei meinen hundert Schafen, Kühen und freilaufenden Hühnern auf der Farm, genüge mich damit, den Ort und die umgebenen Wälder, Hügel und Berge besser zu kennen meine Westentasche?
So etwas ist für die meisten wahrscheinlich (denn ich habe sie nicht gefragt) unvorstellbar.
In unserem – meinem – reichen Leben hätte das einfache Leben mit Verzicht zu tun; wir tun so, als gäbe es bestimmte Dinge nicht in unserem Alltag, obwohl wir sie leicht haben könnten. Dieser Gedanke wiederum führt zu der Frage nach Besitz und dem Bewusstsein über das wahre eigene Bedürfnis hinter der Fassade, das ich erforschen müsste bevor ich etwas erwerbe.
Ich
bin sicher, dass ein jemand, der seinen Bedürfnissen auf der Spur ist auch gleichermaßen mit seinen Grenzen vertraut wird in der Frage wie einfach und reduziert er oder sie tatsächlich leben kann.

Verzicht
Der Verzicht ist wohl das schwierigste Unterfangen in Abhängigkeit von dem, auf das verzichtet wird und dem persönlichen Bezug dazu.
Für viele bedeutet dieses Vorhaben ein aufgesetztes Reglement, das uns einschränkt, uns gewisse Dinge zu tun verbietet. In fast allen Weltreligionen ist der Verzicht – mehr ein Fasten – ein unumgängliches Prozedere um den Geist und Körper zu reinigen. Besonders religiös muss man allerdings nicht sein, um Effekte wahrzunehmen. Gemeinschaftliches fasten mit Religionshintergrund“ kann das einzelne Selbst jedoch bestärken.

Während sich in der Religion das Fasten auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt, verzichten andere zum Beispiel in der alternativen Ernährung auf Fleisch oder ganz auf sämtliche tierischen Produkte. Die Gründe dafür sind ja allgemeinhin und spätestens seit Attila Hildmann bekannt. In der Ernährung auf bestimmte Lebensmittel verzichten zu können ohne Mangelerscheinungen in Kauf zu nehmen oder gar hungern zu müssen ist ein vergleichsweise luxuriöser Verzicht. Ich will das in keinster Weise verteufeln, ernähre ich mich doch selbst seit acht Jahren vegetarisch. Es geht nur um das vielfach angepriesene Bewusstsein. Klar esse ich bewusst, wenn ich kein oder wenig Fleisch esse, auf saisonale, lokale Bio- oder Fairtrade-Produkte (oder wie auch immer uns diverse Lebensmittel-Auszeichnungen verwirren). Aber die Produkte, die einen Veganer vor Mangelerscheinugen bewahren, kosten ihr Geld, wenn nicht in Form von Zeit.

Essen besitzt in der westlichen Kultur einen hohen emotionalen Wert. Ich habe unsäglich viele Süßigkeitenpakete gesehen, die der Kindergarten (in dem ich später zwei wunderbare Monate mit den Kleinsten verbringen durfte) anlässlich seiner Eröffnung von anderen Kindergärten geschenkt bekommen hatte. Zu Zeiten von personalem Mangel gab es als Stärkung Schokoladen-Muffins am Montag, Erdbeer-Törtchen am Freitag, wenn die Woche geschafft war. Das ist so üblich in einem sich liebenden Team mit einer team-liebenden Chefin.
Ich habe es mir selbst oft gesagt;“Ich bin gestresst, ich brauche das jetzt.“ Man kann sich ausmalen, was man ansetzen kann. Auch jetzt habe ich gut reden, muss mich nicht um zahnende (etc.) Kinder und ihre Eltern kümmern und nebenher meinen eigenen Alltag bewältigen.

Dennoch glaube ich, dass man selbst die Situation beschleunigt, nach dem Etwas, was auch immer man haben möchte, einfach greift und sich mit Ausreden beschwichtigt. Wie zum Beispiel:“Ich brauche das jetzt!“. Obwohl man weiß, dass es einem meist alles andere als gut tut, erst recht, wenn man sich wackelige Vorsätze geschaffen hat. Dabei muss es natürlich nicht Essbares sein (Frustshoppen …).

Mensch, das ist doch mal ein fließender Übergang ins nächste Thema;

Besitz
Ja, der Besitz. Wenn man nach (einer) meiner Schwachstelle(n) guckt, findet man genau das.
Seit ich mein eigenes Geld habe, investiere ich. In die Wohnung und nette Deko, in Klamotten, in Schreib- und Bastelkram … Wir reden viel über die neue Wohnung, die es 1.) gar nicht geben kann und 2.) für die wir wahrscheinlich andere Möchtegern-Mieter ermorden müssen laut dem aktuellem Stand der Wohnungssuche in Essen.
Die Liste von Wunsch-Investitionen ist lang, von der Gestaltung her ganz zu schweigen.

Die Umgebung leistet ihren Anteil zum emotionalen Befinden. Ist alles durcheinander, bin ich durcheinander, kann nicht denken, nicht ausruhen. Das klingt, als besäße ich authistische Züge, aber es geht anderen auch so (diesmal habe ich nachgefragt). Trotzdem führt das leider nicht dazu, dass ich gewissenhafter und regelmäßiger aufräumen würde …

Worauf ich hinaus will; Obwohl ich schon so viel Kram besitze um beispielsweise die neuen Wände in gesundem Ausmaße zu gestalten, will ich mehr mehr mehr mehr (mehr mehr mehr), einfach, weil es so viele tolle Sachen gibt! So viele Möglichkeiten! Und das für wenig Geld.

Wie meine Mama so gern sagt; Selber denken macht schlau. Nachdenken. Ich brauche das alles wirklich nicht. Was ich tatsächlich brauche und wie ich dorthin komme, finde ich folgendermaßen heraus:

Das eigene Bedürfnis kennen lernen und entsprechend Prioritäten setzen
Ein leidiges Thema für diejenigen, die noch ihre ersten Orientierungspunkte knüpfen und noch nicht wissen, was sie eigentlich wollen. Dummerweise müssen wir das immer wieder machen und uns noch vor fiesen Kritikern in unserer Umgebung wahlweise vor uns selbst als gnadenlosester Kritiker verteidigen.

Einiges wird dem Menschen schon von Kindsbeinen eingetrichtert und je nach dem, wie die Eltern oder Einrichtung ihre Wertvorstellungen umsetzen wird sich das zu Herzen genommen. Was zu Hause Thema ist, egal in welchem Ausdruck, findet sich meist in den Sprösslingen wieder, entweder in Zustimmung oder absoluter Ablehnung. Das kommt darauf an, was man im Laufe des Lebens erprobt und für sich verifizieren konnte.

Ich sprach ja bereits von dem Zusammenhang zwischen Befinden und Essen – mir geht’s besser, wenn ich einigermaßen vernünftig esse. Wenn ich das weiß, gehe ich auch anders einkaufen.
Über Instant-Nudeln brauchen wir auf der Reise oder zu Hause gar nicht nachzudenken. Ernährung ist für mich übrigens so ein Thema, weil Essen das erste ist, was wir uns am Morgen in direkter materieller Form und Konsequenz zuführen – und natürlich, weil ich daran hänge. Momentan streiche ich (für meine Verhältnisse) recht erfolgreich Schokolade und andere Süßigkeiten. Zu Anfang stand ich hin und wieder vor den Regalen und musste mich eindeutig und quälend fragen ob ich das wirklich brauche und haben möchte. Beim ersten Einkauf tat’s weh, beim zweiten ging es schon besser und jetzt schau ich schon gar nicht mehr ins Regal.

Mein couragiert lehrender Biologie-Lehrer betonte immer wieder, wie schlecht die von Kohlenhydraten und gesättigten Fettsäuren gespeisten Schokoladen-Riegel seien, die im Automaten der Schule erhältlich waren. Und im nächsten Satz von Dopamin-Ausschüttung verursaucht durch Schokolade, auf die selbst er nicht verzichten könnte. Ich habe heute ein Eis gegessen, mit Schokoladenüberzug. Man muss ja nicht übertreiben und sich gar nichts gönnen. In diesem Sinne; geringe Quantität schafft Qualität.

Aus diesem Grund habe ich die Formulierung „kennen lernen“ gewählt. Das lässt, wie ich hoffe, erkennen, dass man vieles ausprobieren und daran erkennen kann, was einem wirklich zusagt. Für mich klingt das erst einmal nach jede Menge Spaß. So verhält sich doch auch die Jugend, oder nicht?
Meine Erfahrung dabei ist, dass viele Wege nach Rom führen. Ob mich, in meinem Beispiel, Sport zu optimaleren Ernährung führt und auf Dinge, die mir schaden, verzichten lässt oder das ökologische Bewusstsein gegen Fleisch aus Massentierhaltung sprechen lässt – ist total egal. A führt nach B und C. Die Schritte schlagen verschiedenste Richtungen ein. Möglicherweise bin ich an dieser Stelle etwas unkreativ, mir andere Beispiele als Ernährung einfallen zu lassen. Aber ich bin mir sicher, dass man auch in anderen Bereichen seinem Geist eine Stimme geben kann, die laut und klar für sein Wohlbefinden spricht. Laut, klar, selbstbewusst.

Man neigt dazu, jeden freien Moment, in dem man augenscheinlich nichts tut, mit Input zu füllen – Informationen, Reizen. Musik, TV, Internet oder sogar ein Buch. Hat man besonders viel um die Ohren, hilft es bestimmt, einfach das Gegenteil zu tun. Füll dich mal mit einem Bild in zehn Minuten statt 34894508 Bildern pro Sekunde.

Ich finde, dass sich das anfühlt, als würde das Gehirn Zeit zum Verpacken und Sortieren finden.

Vor einiger Zeit, als ich etwas zu den Hintergründen von Yoga und Meditation recherchierte, stieß ich auf einen Auszug aus Pico Iyers „The Art Of Stillness“ und einen Vortrag von ihm bei Ted.com. Er erzählt auf nicht wirklich wissenschaftlich fundierter aber dennoch sehr interessanter Basis über den wachsenden Wunsch in der Gesellschaft nach leisester Isolation und Stillstand in Zeiten von stetiger Erreichbarkeit und Schnelllebigkeit. Ich halte in den USA Ausschau nach seinem Buch.

Witzig ist, dass ich zu Hause das Gefühl der Starre hatte und Bewegung, Abwechslung, Fortschritt in der Reise suche – und jetzt stillstehen möchte. Wenn es nicht sogar bescheuert ist.

We don’t need all the things we see, all the things we see,

all the things …

(Choose Love von Sebastian Lind)

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